Johann Heinrich Geymüller der Ältere kam 1772 von Basel nach Wien. Den Höhepunkt ihres Ansehens und ihres wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erfolgs erlebte die Familie Geymüller zwischen 1780 und 1813. Unter einigen Literaturhistorikern hält sich hartnäckig die Legende, Johann Heinrichs Neffe Johann Heinrich Geymüller d.Jüngere (Falkner) sei das Vorbild für Raimunds »Verschwender« gewesen. Von anderen wird allerdings ebenso behauptet, das Vorbild für Raimunds »Verschwender Flottwell« soll Moritz I., Graf von Fries gewesen. Diese Vermutungen sind insofern kulturgeschichtlich interessant, als es dann wohl die Rolle Wiens gewesen wäre, einen besonderen Typ des »reichen Mannes« zu schaffen, nämlich den Verschwender. Das ist umso beachtenswerter, als Verschwendungssucht gleichsam die calvinistische Ursünde ist.

Johann Heinrich Geymüller trat in Wien eine Stelle als Buchhalter im Handelshaus des reformierten Niederlegers Peter Ochs an. Ochs war mit seinem Buchhalter so zufrieden, dass er ihm 1777 seine Firma anvertraute. Und nun ging es Schritt für Schritt aufwärts. 1785 nahm ihn Ochs als öffentlichen Sozius an. Schon 1781 hatte Johann Heinrich Geymüller seinen Bruder Johann Jakob nach Wien kommen lassen, der 1788 ebenfalls Mitinhaber des Geschäftes wurde.

Nach dem Tod von Peter Ochs übernahmen die Brüder die Firma und gründeten das Bankhaus »Geymüller et. Comp.«. Mit dem inzwischen aus der Schweiz eingetroffenen Neffen Johann Heinrich Falkner, der den Namen Geymüller annahm, dem Begründer der Vöslauer Kammgarnfabrik, wurde 1805 eine Societät geschlossen und ihm die Firma anvertraut. Das Bankhaus der Geymüllers wurde eines der ersten in ganz Österreich; es behauptete seinen Platz neben den Bankhäusern der Fries’, Arnsteins, Eskeles’ und Sinas und war an allen wichtigen Finanzoperationen beteiligt. 1806 und 1809 konnten die Geymüller dem österreichischen Kaiser Franz I. die Reparationssummen von 32 Millionen Franken zur Verfügung stellen, die er nach der Niederlage gegen Napoleon an Frankreich zahlen musste. Johann Heinrich (d.Ä.) gehörte zu den Gründern der Österreichischen Nationalbank, 1816 war er Mitglied des ersten Direktoriums, seit 1817 Vizegouverneur.

Auf gesellschaftlichem, politischem und finanziellem Gebiet hatten die Brüder Geymüller großen Einfluss. Der Kaiser würdigte das Verdienst der Familie durch die Erhebung in den Adelsstand (1810) und schließlich in den erblichen Freiherrenstand (1824).

Johann Jakob Freih. von Geymüller
Lithogr. von Friedrich Lieder, 1828
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Die Brüder Geymüller besaßen mehrere Herrschaften und industrielle Werke in Niederösterreich und Böhmen: 1798 erwarben sie das Palais in der Wallnerstraße, das ebenso wie das Friesische Palais Mittelpunkt des geselligen Lebens im Vormärz wurde. Unter den zahlreichen Künstlern, Dichtern, Malern und Musikern war auch Grillparzer, der hier Kathi Fröhlich kennen lernte. Zur Zeit des Wiener Kongresses fanden in Geymüllers Pötzleinsdorfer Schloss großartige gesellschaftliche Veranstaltungen statt. Angesehene Mitglieder des Kongresses gingen bei ihm ein und aus. Johann Heinrich besaß in dem Schloss eine auserlesene Gemäldegalerie.

Zu ihrer Wiener Reformierten Gemeinde hatte die Familie Geymüller von Anfang an gute Beziehungen. Johann Heinrich der Ältere wurde schon 1800 in den Vorstand gewählt. Auch Johann Heinrich der Jüngere war in der Gemeinde tätig. Seit 1817 war er Mitglied des engeren Ausschusses, von 1819 bis 1841 bekleidete er das Amt eines Mitvorstehers. Das Vermächtnis des Johann Jakob Geymüller für die Reformierte Gemeinde war 8000 Gulden. Wie viele reiche und gebildete Kirchenmitglieder waren die Geymüllers auch Freimaurer.

Johann Heinrich Geymüller d. Ä. starb 1824 zu einer Zeit, als das Haus auf dem Höhepunkt seines Glanzes stand. Da sein Bruder Johann Jakob Geymüller schon 1813 aus der Societät ausgetreten war, übernahmen die Witwe des Verstorbenen, Barbara Geymüller (gest. 1835), und der Neffe Johann Heinrich Geymüller die Firma.

Johann Heinrich von Geymüller d. J.
Lithogr. von Josef Kriehuber, 1840
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Johann Heinrich Geymüller der Jüngere hatte jedoch keine glückliche Hand. Er war mit der genusssüchtigsten und verschwenderisch-exzentrischsten Frauen ihrer Zeit verheiratet. »Bei der Aufführung von Händels >Samson< durch die kurz zuvor gegründete Gesellschaft der Musikfreunde sang Rosalie von Geymüller eine der Solopartien. Draußen auf ihrem Gute in Vöslau, wohin man die Schwerkranke gebracht hatte, ließ sie sich, um gleichsam eine Generalprobe des Todes abzuhalten, in ihre Familiengruft legen. Sie wollte sehen und es erleben, wie sie in ihrem Sarge sich ausnahm, wie ihr der Tod zu Gesicht stand. Diesmal ist der Schauspieler Costenoble (evang. H. B.) unser Gewährsmann. Er hat die seltsame Kunde wiederum vom Prediger (Superintendent) Franz der Evangelischen (Reformierten) Gemeinde in Wien, der ihm >von der außerordentlichen Geistesstärke und Willenskraft< der Baronin erzählte. Das Exzentrische und Theatralische war ihr Element. Alles in allem mag sie zur Kategorie jener Frauen zu rechnen sein, die von den Verwaltern nationalökonomischer Prinzipien förmlich dazu bestellt zu sein scheinen, große Vermögen wieder in alle Winde zu zerstreuen.« (Hermine Cloeter)

Doch auch Johann Heinrich Geymüller d.J. konnte sich keinen noch so kostspieligen Wunsch versagen und richtete durch seine Verschwendungssucht die Firma zugrunde. 1824 erwarb er ein Palais in der Vorstadt Wieden. Der Umbau erforderte große Summen. Aber nicht genug damit: Er kaufte außerdem noch das Schloss des Grafen Fries in Vöslau. Zur Errichtung einer SchafwoIIkammgarn-Spinnerei in Vöslau hatte er eine Fabriksbefugnis erhalten. Der Zusammenbruch des Hauses war jedoch bald nicht mehr aufzuhalten. 1842 wurde die Landesfabriksbefugnis der Vöslauer Kammgarnfabrik als kassiert erklärt. Der Konkurs wurde eröffnet, die Firma gelöscht. Auf dem weiteren Leben des jüngsten Geymüller ruhte kein Segen. Seine zweite Frau war gemütskrank. Als Bettler kehrte er, steckbrieflich verfolgt, in die Heimat zurück, wo er 1848 starb.

 

Aus: Monika Salzer/Peter Karner: Vom Christbaum zur Ringstraße. Evangelisches Wien. 2., verbesserte Auflage, Wien 2009, S. 73 – 74.